50. FrauenOrt in Kemberg ist Ernestine Christine Reiske gewidmet
13.09.2009
Am 13. September war es soweit: Anlässlich des Tages des offenen Denkmals wurde ein weiterer – der inzwischen 50. – FrauenOrt in Kemberg übergeben. Seit dem Jahr 2000 machen einheitlich gestaltete Tafeln in Sachsen-Anhalt im öffentlichen Raum auf Frauengeschichte aufmerksam. Dank der Initiative des Kultur- und Kunstverein Kemberg, der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Wittenberg und des FrauenOrte Sachsen-Anhalt e.V. gehört nunmehr auch Kemberg zum Netz der FrauenOrte in unserem Bundesland.
Die jüngste Tafel erinnert an Ernestine Christine Reiske. Am 2. April 1735 in Kemberg geboren, wuchs sie mit ihren fünf Schwestern und vier Brüdern im hiesigen Pfarrhaus auf. Damals durchaus nicht unüblich erhielt Ernestine Christine Unterricht von ihrer Mutter und ihrem ältesten Bruder Gottlieb. Ihm hatte die interessierte junge Frau – inzwischen Zwanzigjährig – 1755 auch den Zugang zur „Gesellschaft der freyen Künste und Wissenschaften“ in Leipzig zu danken. Hier lernte sie neben Gottsched auch ihren späteren Ehemann Johann Jacob Reiske kennen, der als Gelehrter und Rektor der Nikolaischule in Leipzig einen Namen hatte. Von ihm zunächst in Griechisch, Latein, Französisch und Englisch unterrichtet, wurde sie bald zur kompetenten Mitarbeiterin des zwanzig Jahre älteren Orientalisten und war an allen wissenschaftlichen Ausgaben ihres Mannes beteiligt. Eine Tatsache, die Reiske selbst würdigend hervorhob und Ernestine Christine als gelehrte Frau bekannt machte.
1785 war sie derzeit die einzige Frau, die selbst Beiträge im „Magazin zur Erfahrungsseelenkunde“ veröffentlicht hatte. Die ihr entgegengebrachte Wertschätzung ist dem überlieferten Briefwechsel der Reiskin ebenso zu entnehmen wie ihr erfolgreiches Wirken als Verlegerin, Publizistin und Übersetzerin. In späteren Jahren pachtete und führte sie äußerst erfolgreich ein Landgut in der Nähe von Braunschweig. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie in ihrem Geburtsort Kemberg, wo die von vielen geachtete Wissenschaftlerin 63jährig verstarb.
Trotz eher regnerischer und windiger Wettereskapaden hatten sich an die 100 interessierte Bürgerinnen und Bürger, Besucher der Stadt und Politikerinnen und Politiker um 11.00 Uhr auf dem Markt Kembergs am Haus Nr. 6 eingefunden, um an die Altphilologin und bekannteste Kembergerin zu erinnern. Auch Petrus war wohl beeindruckt von den Leistungen dieser Frau im 18. Jahrhundert und schickte vereinzelte Sonnenstrahlen hinab.
Dem Anlass entsprechend begrüßte Günter Rösner, Vorsitzender des Kultur- und Kunstvereins Kemberg e.V., die Anwesenden und stellte Ernestine Christine Reiske in eine Reihe mit den berühmten Männern Kembergs, Bernhardi und Wanckel. In der Einbindung Kembergs in das bereits bestehende Netz der FrauenOrte erkennt Rösner auch eine Chance, die Stadt Kemberg für ein speziell interessiertes Klientel touristisch attraktiv zu machen. Namens des Landrates ergriff nunmehr die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Wittenberg, Doris Schröter, das Wort und schlug den Bogen von Kemberg in die ganze Welt. Globalisierung war hier das Stichwort, das Wirken der Frauen in den letzten Jahrhunderten könne man getrost als Vorboten der heutigen Globalisierung betrachten. Im Landkreis Wittenberg gibt es nunmehr vier FrauenOrte – die Lichtenburg in Prettin, das Lutherhaus in Wittenberg, das Schloss Oranienbaum und das Wohnhaus der Reiske in Kemberg. Inwiefern das Handeln der Reiske globalisierend gewirkt habe, überließ sie jedem selbst herauszufinden.
Bürgermeister Rainer Schubert betonte in seinem Grußwort, das sich in den letzten 20 Jahren viele Bürgerinnen Kembergs politisch im Stadtrat engagierten, um aktiv an der Gestaltung ihres Lebensraumes teilzuhaben. Abschließend vermittelte unsere stellvertretende Vorsitzende Elke Stolze neben einem Einblick in die Entstehung und Entwicklung der FrauenOrte auch eine historische Einordnung und Würdigung des Lebenswerkes Ernestine Christine Reiskes. Außerdem bestellte sie Grüße und Glückwünsche von der Initiative frauenORTE Niedersachsen zur Übergabe des „Jubiläums-FrauenOrtes“.
Im Anschluss wurde dann endlich das „offene Geheimnis“ hinter dem roten Tuch an der Hauswand gelüftet. Die Vorsitzende des FrauenOrte Sachsen-Anhalt e.V. Barbara Wendt, die Landtagsabgeordnete Corinna Reinecke, der Heimatforscher Günter Böhme und die heutige Besitzerin des Hauses Frau Benske enthüllten feierlich die 50. FrauenOrte-Tafel, der künftig mehr über das Leben der Reiskin und das Netz der FrauenOrte zu entnehmen ist.
Danach ging es, dem zusehends schlechter werdenden Wetter geschuldet, auf einen – wenn auch verkürzten Stadtrundgang. Der Kultur- und Kunstverein Kemberg stellte das jüngste Ergebnis seiner Arbeit vor: 30 Tafeln im Stadtgebiet vermitteln einen Eindruck zur historischen Entwicklung. Abwechselnd berichteten Heimatforscher Böhme und andere, sich mit der Geschichte der Stadt beschäftigende Bürger anschaulich über die Bedeutung der Orte nicht ohne dem Publikum auch die eine oder andere Anekdote zu erzählen und es zu ermutigen, den Aufstieg auf den Kirchturm zu wagen, der mit einer tollen Aussicht belohnt wird.
So war es insgesamt ein rundum gelungener Tag in einer kleinen, aber sehr engagierten Stadt mit einer Geschichte, die es lohnt ins Bewusstsein der Menschen zurückzuholen.