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Gender – und nun? Fragen, Einwürfe und mögliche Auswege

von: Christian Schenk MdB a. D.

1 Ein kurzer Blick zurück: Was war vor „Gender“?

Das hier gestellte Thema provoziert zunächst die Frage, was eigentlich vor gender war und was zur Entwicklung der darauf aufbauenden Strategie des Gender Mainstreaming geführt hat. Eine umfassende Darstellung würde hier zu weit vom Thema wegführen, aber ein kurzer Rückblick auf die Geschlechterverhältnisse in der DDR und in der Alt-BRD vermag die Antwort erkennbar werden zu lassen:

Die Situation in der DDR unterschied sich in vielfacher Hinsicht sehr grundlegend von der in der alten und auch heutigen Bundesrepublik. In der DDR war für Frauen der Zugang zu Qualifizierung und Berufstätigkeit schon in den Anfangsjahren selbstverständlich. Sie verdienten ihr eigenes Geld, waren ökonomisch selbstständig, der Mann als „Ernährer“ und die Ehe als Versorgungsinstitution hatten ausgedient. Die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung war gewährleistet und keine Frage mehr des Geldes. Es gab diverse Frauenfördermaßnahmen auf betrieblicher und universitärer Ebene; es gab das Babyjahr und den Haushaltstag für Frauen.

Die Geschlechterverhältnisse waren in der DDR auf Grund politischer Entscheidungen und der dadurch geschaffenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vergleichsweise gleichberechtigt, insbesondere im Vergleich zur alten Bundesrepublik. Dennoch gab es im politischen Umgang mit der Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau ein – wie ich finde – grundsätzliches Problem: Die politischen Maßnahmen richteten sich in erster Linie an Frauen, während über Männer und deren Beteiligung etwa am Babyjahr oder an der Hausarbeit, die zu der oft beschriebenen Doppelbelastung von Frauen führte, nicht gesprochen wurde – ebenso wenig wie über die auch in der DDR nicht beseitigte unterschiedliche Bewertung von frauen- und männertypischen Berufen , die sich in entsprechenden Einkommensunterschieden ausdrückte oder die von Männern ausgeübte häusliche Gewalt gegen Frauen. Dass z.B. der geringere Frauenanteil bei der Besetzung von Leitungsfunktionen weniger auf individuelle Hindernisse, sondern vielmehr auf strukturelle Gegebenheiten, die Männer und männliche Lebenslagen privilegierten, zurückzuführen war, war kein Thema in der Politik von „Partei- und Staatsführung“. So war am Ende der DDR die Geschlechterhierarchie in Bezug auf gesellschaftlichen Einfluss, Einkommen, Zeit und letztlich Teilhabe zwar flacher geworden, aber nicht beseitigt. Hierzu wäre es notwendig gewesen, über die praktizierte Frauenförderung hinauszugehen und die geschlechtstypischen Lebenslagen und die Gründe für ihr Entstehen und Fortbestehen in ihrem inneren Zusammenhang zu betrachten und politisch zu gestalten.

In der Wende 1989 machten Frauen aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, insbesondere der Unabhängige Frauenverband (UFV), die genannten Ungerechtigkeiten und Belastungen zuungunsten von Frauen zum erstmals öffentlich diskutierten Thema und forderten eine Geschlechter-Politik ein, die auch Männer mit einbezog. Die Geschlechterverhältnisse sind letztlich das Resultat der strukturellen (und auch kulturellen) Verwobenheit der sozialen Lagen von Frauen und Männern in einer Gesellschaft. Die Verknüpfungen werden zum einen durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und zum anderen durch das individuelle Handeln von Frauen und Männern hergestellt, so dass eine Veränderung der Situation von Frauen verbunden ist bzw. verbunden werden muss mit der Veränderung der Situation von Männern. Die Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse kann insofern nur als Aufgabe von Frauen und Männern begriffen werden.

Die Ende der 1960er Jahre in Westdeutschland entstandene sog. Neue Frauenbewegung hat auf Grund der sehr patriarchalen Verhältnisse dort von Anfang den Fokus auf Frauen gelegt – es ging darum, „Fraueninteressen“ mit einer „Politik von Frauen für Frauen“ Geltung zu verschaffen und durchzusetzen. Die politische Antwort auf die Situation bestand in der Etablierung von Frauenförderung – sowohl auf individueller Ebene in Form von Qualifizierungsmaßnahmen (z.B. zur Übernahme von Führungsaufgaben oder Vermittlung von Rhetorikkenntnissen) und der Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, als auch auf gruppenbezogener Ebene in Form von Quotierungsregelungen. Dieser Ansatz hatte insgesamt durchaus positive Effekte, war aber auch nicht unproblematisch.

So erzeugt der Terminus „Frauenförderung“ das Bild einer homogenen Gruppe „Frau“ und verdeckt damit die Unterschiedlichkeiten in dieser Gruppe hinsichtlich sozialer Lage, Bildungsniveau, sexueller Orientierung, Hautfarbe, ethnischer Herkunft etc. und den damit jeweils verbundenen unterschiedlichen sozialen Platzzuweisungen im sozialen Gefüge der Gesellschaft. Das zweite mit der Strategie der Frauenförderung verbundene Problem besteht darin, dass sie ausschließlich an Frauen adressiert ist und diese dadurch als hilfebedürftig, weniger leistungsfähig und defizitär erscheinen. Insofern trägt Frauenförderung zur Bestätigung negativer Bilder von Frauen bei.

Männer hingegen bleiben bei der Frauenförderung sowohl als Beteiligte als auch als Verantwortliche außen vor. Sie werden durch diesen Ansatz nicht angesprochen und damit de facto aus ihrer Verantwortung für die Zustände entlassen. Das Desinteresse und die Ignoranz nicht weniger Männer gegenüber Fragen der Geschlechtergleichstellung liegen sicher auch hierin begründet. Dabei gäbe es gerade in Bezug auf Männer einiges zu tun – z.B. Unterstützung und Anerkennung sozialer Vaterschaft in der Erwerbsarbeit, denn noch stoßen Elternzeit oder andere familienbedingten Fehl- oder Auszeiten bei Männern häufig eher auf Befremden als auf Unterstützung bei Vorgesetzten und KollegInnen. Auch fällt vielen Männern die Sinnfindung jenseits von Erwerbsarbeit und Karriere schwer – hier wäre z.B. die Entwicklung eines vielfältigeren männlichen Rollenbildes hilfreich.

Ein dritter Kritikpunkt am Ansatz der Frauenförderung ist, dass er personenbezogen ist und die gesellschaftlichen Strukturen und Machtverhältnisse dabei nicht oder nur indirekt beeinflusst werden. Frauenförderung ist vorrangig darauf gerichtet, die Repräsentations- und Beteiligungsnachteile von Frauen abzubauen, nicht jedoch die Strukturen zu verändern, die dazu führen, dass sich die Geschlechterverhältnisse weiter als hierarchische Verhältnisse reproduzieren.

2 Gender Mainstreaming als neuer Ansatz

Gender Mainstreaming wird, oft insbesondere von frauenbewegter oder feministischer Seite, kritisiert – der Durchbruch hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit sei ausgeblieben, Gender Mainstreaming sei Teil der neoliberalen Wirtschaftsstrategie, Gender Mainstreaming sei eine Strategie zur Abschaffung von Frauenpolitik und Frauenförderung, Gender Mainstreaming habe die Aufhebung des „Geschlechtsunterschieds“ zum Ziel und würde auf Gleichmacherei hinauslaufen etc.

Schauen wir also die Ursprünge und Inhalte des Gender Mainstreaming -Ansatzes genauer an: Gender Mainstreaming ist in den 1970er Jahren im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit entstanden und war die Konsequenz aus der Erfahrung, dass ausschließlich frauenbezogene Ansätze nur begrenzte Wirkung hatten und der Erfolg einer Maßnahme nicht unwesentlich davon abhing, inwieweit es gelang, auch die Männer in spezifischer Weise einzubinden.

Die Weltfrauenkonferenzen von Nairobi 1985 und von Beijing 1995 haben sehr explizit und mit Nachdruck eingefordert, dass der Fokus auf beide Geschlechter gerichtet sein müsse (ohne dass der Begriff Gender Mainstreaming damals schon verwendet worden ist). Dieser neue geschlechterpolitische Ansatz war in der in Beijing verabschiedeten Aktionsplattform enthalten und fand in der Europäischen Union seinen Niederschlag im 1999 in Kraft getretenen Amsterdamer Vertrag, der den Vertrag über die Europäischen Gemeinschaften dahingehend änderte, dass die Mitgliedsstaaten nunmehr verpflichtet sind, den Ansatz des Gender Mainstreaming im Regierungshandeln und in den öffentlichen Verwaltungen umzusetzen.

Was ist Gender Mainstreaming eigentlich? Der zentrale Begriff gender meint die Gesamtheit der an Frauen bzw. Männer adressierten Normen, Werte sowie Erwartungen und die von Frauen und Männern verinnerlichten Verhaltensweisen, Werte, Interessen etc. gender meint die soziale Repräsentation von Geschlecht und ist die Bezeichnung für alles, was Geschlecht in einer konkreten Gesellschaft kenntlich und erkennbar macht – vom Handeln bis zum Habitus. Oft wird gender auch als soziales Geschlecht bezeichnet und so klar vom körperlichen Geschlecht, im Englischen mit sex bezeichnet, unterschieden. Der Begriff gender macht deutlich, dass alles, was dazu dient, sich selbst als Frau oder als Mann erkennbar zu machen, nicht angeboren und fix, sondern in unterschiedlichen Zeiten und von Gesellschaft zu Gesellschaft sehr verschieden sein kann, folglich variabel und durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen veränderbar ist. gender ist also nicht eine andere Bezeichnung für Frauen oder für Männer, obwohl es oft als Synonym für Frauen und Männer verwendet und damit missverstanden wird.

Der andere Bestandteil von Gender Mainstreaming ist mainstreaming. Damit ist die Aufforderung gemeint, gender-Aspekte in die üblichen Entscheidungs- und Handlungsvorgänge einer beliebigen Organisation (öffentliche Verwaltung, Unternehmen, Verein, Schule, Kita etc.) zu integrieren und nicht nur punktuell oder als Sonderthema zu behandeln.

Gender Mainstreaming bedeutet im Vergleich zur Frauenförderung einen dreifachen ParadiGender Mainstreamingenwechsel:

  • Geschlechtergerechtigkeit wird nicht länger als exklusives Interesse der Gruppe der Frauen formuliert (was in dieser Pauschalität so nie der Fall war), sondern als Aufgabe, die von allen in allen Feldern zu lösen ist.
  • Es werden beide Geschlechter in die Betrachtung einbezogen und beiden Geschlechtern wird eine Verantwortung für die Verhältnisse zugesprochen. Um geschlechtergerechte Lösungen finden zu können, werden sowohl die sozialen Lagen und Interessen von Frauen, als auch die von Männern (z.B. von Vätern in Elternzeit) analysiert und thematisiert.
  • Die Geschlechterverhältnisse kommen im Gender Mainstreaming -Ansatz nicht länger nur als individuelles oder als Gruppenproblem in den Blick, sondern explizit als Strukturproblem in der betreffenden Organisation oder auch in der Gesellschaft insgesamt.

Damit hat Gender Mainstreaming als Ansatz und Methode große Vorteile gegenüber der herkömmlichen Frauenförderung: Die Geschlechterverhältnisse können – über die Verkürzung als Täter-Opfer-Verhältnis hinaus – als komplexe gesellschaftliche Beziehung zwischen Frauen und Männern thematisiert werden. Dabei kommen sowohl die Rolle der strukturellen Rahmenbedingungen als auch die Verantwortlichkeit beider Geschlechter für notwendige Veränderungen in den Blick.

Gender Mainstreaming ist eine neue Herangehensweise, für die eine Vielzahl neuer Instrumentarien entwickelt worden ist, z.B.:

Genderanalyse

  • Hier wird untersucht, wie es in der betreffenden Organisation um die Repräsentanz von Frauen und Männern bestellt ist – jedoch nicht als einfaches Köpfezählen (sex-counting), sondern differenziert nach Kriterien, die sich geschlechtstypisch auswirken können, wie Alter, körperliche Leistungsfähigkeit/Behinderung, Hautfarbe, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung, so dass ein Bild davon entsteht, welche strukturellen Diskriminierungen oder Privilegierungen es in der Organisation gibt.
  • Die Untersuchung der Verteilung von Ressourcen (Geld, Zeit, Einfluss etc.) ist Teil der Genderanalyse. Für die geschlechtergerechte Verteilung der Haushaltsmittel ist der Begriff Genderbudgeting gebräuchlich geworden.
  • Auch die Untersuchung der Attraktivität einer Organisation nach außen hin und der Gründe dafür ist Teil der Genderanalyse. In der Wirtschaft ist dies wichtig für die KundInnenbindung bzw. für die Personalgewinnung; Parteien könnten mit einer Genderanalyse ihre Anziehungskraft für WählerInnen oder bei der Mitgliedergewinnung gezielt beeinflussen.

Top-down-Ansatz

Mit dem „von oben nach unten“-Verfahren ist nicht gemeint, dass die Führungsebene einer Organisation von oben herab diktieren soll, wie Gender Mainstreaming umzusetzen ist. Top-down heißt, dass die Führungsebene die Verantwortung für den Erfolg der Implementierung von Gender Mainstreaming übernimmt, Gender Mainstreaming also zur „ChefInnensache“ macht.

Gender Mainstreaming als Organisationsentwicklungsprozess

Gender Mainstreaming erschöpft sich nicht in Maßnahmen zur Sensibilisierung gegenüber Diskriminierungen oder in der Vermittlung von Kenntnissen in Geschlechterfragen. Gender Mainstreaming kann nur erfolgreich sein, wenn die Ziele klar formuliert werden, die Auswahl geeigneter Instrumentarien erfolgt, die Prozesskontrolle organisiert wird, Ressourcen zur Verfügung gestellt werden und schließlich eine Erfolgskontrolle stattfindet.

Gender Mainstreaming ist also lediglich eine Methode – nicht mehr und nicht weniger. Nicht per se, sondern die Qualität der Ergebnisse kann gut oder schlecht sein – je nach

  • Klarheit des im konkreten Fall zu Grunde gelegten gender-Begriffs,
  • Genauigkeit von Zielformulierung und Genderanalyse,
  • Auswahl der Instrumentarien,
  • Qualität des Organisationsentwicklungsprozesses,
  • Rückkopplung der Evaluationsergebnisse an Ziel und Prozess.

Von großer Bedeutung ist, dass Gender Mainstreaming eng mit einer wirksamen Antidiskriminierungspolitik verzahnt wird, denn Freiheit von Diskriminierungen (sowohl unmittelbaren als auch mittelbaren) ist die Voraussetzung für Gleichstellung. Es liegt auf der Hand, dass Gender Mainstreaming ohne eine Verknüpfung mit Antidiskriminierungsmaßnahmen nicht erfolgreich sein kann. Das gilt sowohl für die einzelne Organisation, als auch für die Gesellschaft insgesamt.

Wie sieht nun die Bilanz aus 10 Jahre nach Einführung von Gender Mainstreaming? Eine Revolution ist nicht ausgebrochen – nach wie vor kann in Deutschland von Gleichstellung, also von gleicher Teilhabe von Frauen und Männern, nicht gesprochen werden. Noch immer gibt es Einkommensunterschiede und damit auch Abhängigkeitsverhältnisse unter Erwachsenen (insbesondere in Hartz-IV- Bedarfsgemeinschaften oder unter Ehepartnern mit größeren Einkommensunterschieden durch das Ehegattensplitting), ist das Vereinbarkeitsproblem nicht gelöst, gibt es eine Dominanz von Männern in Macht- und Führungspositionen. Auf der anderen Seite jedoch gibt es auch positive Entwicklungen, vor allem in der Familienpolitik. Hier sei nur das Elterngeld genannt, das endlich als Lohnersatzleistung ausgestaltet und damit erstmals auch für Männer attraktiv geworden ist.

Gender Mainstreaming hat allerdings auch problematische Seiten:

  • Gender Mainstreaming ist ein Anglizismus und schon sprachlich nicht verständlich, zudem ist insbesondere der Begriff gender fremd und muss immer wieder neu geklärt werden,
  • Kenntnisse um die strukturellen geschlechtstypischen Benachteiligungen sind nicht Teil des Alltagswissens, müssen also stets erst vermittelt werden (dies trifft allerdings heute auch z.T. auf Frauenförderung zu).
  • Das Akzeptanzproblem, das Frauenförderung von Anfang an hatte (nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen), überträgt sich teilweise auch auf Gender Mainstreaming. gender wird nicht selten einfach mit „Frau“ übersetzt und Gender Mainstreaming wird als „modernisierte“ Bezeichnung für die althergebrachte Frauenförderung fehlinterpretiert.
  • Gender Mainstreaming stellt das Geschlecht in den Vordergrund; das jedoch ist nicht der einzige Hierarchisierungsaspekt in der heutigen Gesellschaft. Auch Alter, Behinderung, Familienkonstellation, ethnische Herkunft, Hautfarbe, Weltanschauung, Religion, sexuelle Orientierung etc. sind Merkmale, an die Diskriminierungen geknüpft werden. Zwar ist Geschlecht ohne diese Aspekte nicht zu erfassen, da sie aber im Rahmen von Gender Mainstreaming nicht explizit benannt werden, entsteht der Eindruck es gehe allein um das körperliche Geschlecht.

Daraus ergibt sich die Frage, ob Gender Mainstreaming so weiterentwickelt werden kann, dass die genannten Probleme vermieden werden. Einen Ausweg scheint die seit geraumer Zeit auch in Deutschland diskutierte Politik der Vielfalt (Politics of Diversity) zu bieten.

3 Politik der Vielfalt – Managing Diversity

Mit „Diversity Management“ wird der diskriminierungsfreie und darüber hinaus wertschätzende Umgang mit personeller Vielfalt bezeichnet. Eine wachsende Zahl von Unternehmen (z.B. Ford, Lufthansa, Deutsche Bank, British Petrol, Kraft), aber auch von Kommunen (z.B. Berlin, Upsala/Schweden) praktizieren Diversity Management.

Der des Öfteren gegen Diversity Management erhobene Vorwurf ist, dass Diversity Management lediglich eine weitere neoliberale Strategie zur effektiveren Ausbeutung von ArbeitnehmerInnen sei. Selbst das es so ist (was niemand bestreitet) stellt sich doch die Frage, ob aus der Methode und den Instrumentarien von Diversity Management Anregungen auch für den zivilgesellschaftlichen Umgang, öffentliches Verwaltungshandeln inklusive, mit der durch Individualisierung, Migration und soziale Differenzierungsprozesse zunehmenden Vielfalt gewinnen lassen.

Woher kommt dieser Ansatz des Diversity Management, wo und weshalb ist er entstanden? Hier lassen sich zwei Quellen ausmachen:

  • Die eine war die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung, die sich in den 1950er Jahren mit dem Aufstand von AfroamerikanerInnen herauszubilden begann und die Forderung nach Gerechtigkeit und Chancengleichheit erhob. Daraufhin entstanden Mitte der 1960er Jahre und danach gesetzlich fixierte und mit drastischen finanziellen Sanktionen versehene Diskriminierungsverbote, die einen diskriminierungsfreien Umgang mit Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Eigenschaften oder Merkmalen erzwingen und zugleich als ethisch geboten kennzeichnen.
  • Die andere war die private Wirtschaft in den USA, die sich etwa seit Mitte der 1980er Jahre mit Veränderungen auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt konfrontiert sah. Frauen traten in zunehmendem Maße in den Arbeitsmarkt ein, der Anteil von ArbeitnehmerInnen hispanischer und asiatischer Herkunft wuchs, die Zahl älterer ArbeitnehmerInnen und solcher mit Behinderungen stieg, Lesben und Schwule wurden als ArbeitnehmerInnen sichtbar. Unternehmen sahen angesichts dessen in einem produktiven Umgang mit Vielfalt einen Weg, auch unter den veränderten Bedingungen die bestmögliche Ressourcennutzung sicherzustellen. Ende der 80er, Anfang der 1990er Jahre wurde Diversity Management erstmals in den USA als Managementkonzept für Wirtschaftsunternehmen diskutiert. Schon bald war empirisch feststellbar, dass in einer diskriminierungsfreien und wertschätzenden Arbeitsumgebung das Engagement der Beschäftigten zunahm, die Attraktivität des Unternehmens für ArbeitnehmerInnen stieg, die von vielfältig zusammengesetzten Teams entwickelten Produkte eine höhere Nachfrage auslösten und nicht zuletzt die Attraktivität des Unternehmens für ethisch orientierte InvestorInnen und KapitalanlegerInnen wuchs.

Auch Diversity Management ist – ebenso wie Gender Mainstreaming – eine Methode, die die Beseitigung struktureller und individueller Diskriminierung in einer Organisation mit individueller Förderung von Angehörigen benachteiligter oder marginalisierter Gruppen und strukturverändernde Maßnahmen miteinander verknüpft. Ziel ist, aus der vormals monokulturellen Organisation eine polykulturelle Organisation werden zu lassen.

Diversity Management ist nicht nur in Wirtschaftunternehmen, in der öffentlichen Verwaltung und in sonstigen Organisationen anwendbar, sondern kann auch helfen, die Kritik der Gerechtigkeitsdefizite der kapitalistischen Gesellschaften im öffentlichen Diskurs besser zu vermitteln und Anregungen geben bei der Entwicklung von politischen Alternativen.

Der Diversity Management-Ansatz hat zwei Vorteile gegenüber Gender Mainstreaming:

  • Alle Aspekte, die zu Anknüpfungspunkten für Privilegierungen bzw. Benachteiligungen oder Diskriminierungen geworden sind oder werden können, werden explizit benannt.
  • Geschlecht steht (zunächst) gleichrangig neben Alter, sexueller Orientierung, ethnischer Herkunft, Hautfarbe, körperlichen Fähigkeiten bzw. Behinderung, Weltanschauung und Religion. Die Bedeutung von Geschlecht als Diskriminierungsanlass ist besser vermittelbar, als wenn Geschlecht isoliert in den Vordergrund gestellt wird. Auch ist die Notwendigkeit einer engen Verzahnung von umfassender Gleichstellungs- mit einer ebenso umfassenden Antidiskriminierungspolitik plausibler darstellbar.

Die Gefahr dabei ist, dass das Merkmal Geschlecht marginalisiert und in seiner Bedeutung unterschätzt wird. In der deutschsprachigen Managementliteratur ist dies gegenwärtig gut zu beobachten. Andererseits eröffnet sich die Chance, dass die Bedeutung von Geschlecht – im Zusammenhang mit allen anderen Diskriminierungsmerkmalen – besser kommunizierbar ist, als bei einem ausschließlich oder vorrangig geschlechtsbezogenen Ansatz wie Gender Mainstreaming. Auch für Diversity Management gilt: Der Effekt oder Erfolg des Ansatzes hängt ab von der Genauigkeit der Analyse, der Zieldefinition, der Instrumentarien und der Prozesskontrolle. Die besondere Herausforderung besteht bei Diversity Management darin, die intersektionale Verschränkung von Geschlecht mit anderen Diversity Managementensionen der Hierarchisierung und der Ungleichheit zu erfassen und in der Praxis zu berücksichtigen.

4 Ausblick

Es lässt sich, wie ich versucht habe zu zeigen, eine Linie ziehen von Frauenförderung zu Gender Mainstreaming hin zu Diversity Management. Dabei ist es jedoch nicht so, dass die jeweils neuere Methode die jeweils ältere ablöst und vollständig ersetzt. Das eröffnet die Möglichkeit, ein konkretes geschlechterpolitisches Problem mit einem Mix aus diesen drei Ansätzen zu lösen – in Kenntnis der jeweiligen Risiken und Chancen.

Die eingangs gestellte Frage „10 Jahre Gender – und nun?“ kann ich nur mit der Aufforderung beantworten, in entschiedener und zugleich reflektierter Weise weiterzumachen – und dabei offen für Neues zu sein sowie den Mut und die Bereitschaft aufzubringen, auch neue Bündnisse, z.B. mit Männern, zu erproben. Die Geschlechterfrage ist keine „Frauensache“ allein – sie geht alle an!

Vortrag auf der Veranstaltung „DamenWahl und MännerMacht!?!“ am 8. März 2008 in Merseburg

Jedoch waren und sind die Einkommensunterschiede zwischen sog. männer- bzw. frauentypischen Berufen in der DDR deutlich geringer als in der Alt-BRD bzw. im heutigen Westdeutschland.

Hierzu erscheinen jetzt – fast 10 Jahre nach der Einführung von GENDER MAINSTREAMING – die ersten wissenschaftlich fundierten Veröffentlichungen.